Der Komponist, Arrangeur, Multiinstrumentalist und Dozent STEFFEN SCHORN hat mit „Camille Claudel – An Inner Opera“ ein Stück geschrieben, das durch ungewöhnliche Instrumentierung, ungewöhnliche Singstimme, emotionsgeladene Vielgestaltigkeit insgesamt hervorsticht.
Die Instrumente, die Multiinstrumentalist Steffen Schorn und sein Tentett einsetzen, ragen zum Teil beinahe 2 m hoch. Es sind Einzelanfertigungen, die Skulpturen gleichen. Schon deren pure Anwesenheit könnte auf die richtige Spur lenken: dass nämlich dieser Abend der Bildhauerin Camille Claudel gewidmet ist. Schorn, wie sein gegenüber Michael Heupel, blasen alsdann machtvolle Kontrabassflöten, die nicht nur, aber auch im Zusammenspiel mit der Bassklarinette der Rebecca Trescher, den Tenorsaxophonen von Julian Bossert und Stefan Karl Schmid wesentlich die Atem- und hauchsatte Stimmung dieses Abends vorgeben; Schorn dann mal auf Tubax, dem Zwitter wischen Sax und Tuba.
Trotz Übergewichts an (Flöten und) Tiefönen fehlt es an Unschärfe oder dickflüssiger Verklärung gänzlich, vielmehr eröffnet sich eine feingliedrige Topographie von auch extremen Seelenzuständen, durch die Camille Claudel Zeit ihres Lebens hindurch musste; Schorn nennt sein Stück „Camille Claudel – An Inner Opera“. Man führt diese Oper, die alle Überzeichnung, allen Pathos meidet, in zwei Sets von etwa je einer Stunde Länge auf.
Und produziert durchgehend einen Schwebezustand, als wäre man fern der Welt bereits, in einem jenseitigen Windkanal oder zumindest der Gravitationskraft enthoben.
Dass der Abend nicht nur hörenswert ist wegen der überaus abwechslungsreichen, hoch einfühlsamen und hoch originellen Arrangements von Schorn für gleich sieben Bläser – unter ihnen auch (viel am Altsaxophon) Roger Hanschel, für einen Harfenisten (Anton Mangold), einen Pianisten und Keyboarder (Johannes Billich) – , sonder zusätzliche Weite erfährt, liegt an der Sängerin Ruth Wilhelmine Meyer, die Schorn in Norwegen kennenlernte. Sie tritt an Stoff und Musik gleichermaßen entrückt wie beteiligend heran und kommt doch – in jener doch dramatischen Lebensgeschichte – ohne jegliches vordergründige Drama aus. Meyer ist eine Archaikerin vor dem Herrn. Ihr Gesang entstammt Sprachanfängen, wo Dinge noch umfassend ertastet zu werden hatten, noch nicht aus Sprachton geformt wurden – wortlos, mit Klicklauten, fragenden Atemstößen verwickelt sie sich und uns in eine fundamentale Konversation über nichts Bestimmtes und alles Bestimmende. Dabei erhebt Meyer nicht mal ihre Stimme. Ihre Zwiesprachen in den verwinkelten wie losen Duetten mit Bassflöte oder die Monologe über den Tubarhythmen des Lars Andreas Haug oder einer Basis aus mehreren Harmonikas zählen zu den Höhepunkten. Meyer macht endgültig, dass der Abend aus suchenden wie überaus straffen Tentett-Aktionen lange vorhält.
ADAM OLSCHEWSKI