Platte des Monats – Februar 2020

World Saxophone Quartet, Rova Saxophone Quartet. Peter Brötzmanns Trio Sonore. Drei Beispiele, die für ziemlich unterschiedliche Entwürfe auf dem monochromer Besetzung verpflichteten Sax-Sektor stehen; von einem der Quartette geht eine den afroamerikanischen Background nie unterschlagende Improv-Macht aus, das andere ist geordneter, zu neumusikalischen Ufern, zu Cage, Riley tendierend, das Trio gerade so kontrolliert, vor allem aber wild drängend. Ein einziges, wenn auch in Variationen vorhandenes und damit mit variierendem Klangbild versehenes Instrument, da mag man von vorn herein seine Vorbehalte ob bald aufkommender Monotonie-Zustände haben…
Diesmal gleich sechs Holzbläser ohne rhythmische Stützen der Saiten oder Trommeln. Als Fundament das Raschèr Saxophone Quartet. Das gibt es seit fünfzig Jahren. Es wurde in New York gegründet, ist aber gegenwärtig in Freiburg/Breisgau beheimatet. Es besteht bzw. bestand bei dieser Einspielung aus Christine Rall und Elliot Riley, beide am Sopran und Alt, sowie Andreas van Zoelen am Tenor und Bass und dem im Mai vergangenen Jahres verstorbenen Kenneth Coon am Baritonsaxophon – dem diese Aufnahme mehr oder weniger gewidmet ist. („Buddy´s Soul – For Ken“, der letzte Albumtitel, ohne Coon schon eingespielt, dann unmissverständlich eine Widmung.) Das Raschèr ist vornehmlich auf modern-klassischen Feldern unterwegs, spielt aber auch Bach und Dvorák, hier allerdings mal nicht wirklich. Hier verstärkt es sich mit Steffen Schorn und Roger Hanschel – die sich von der Kölner Saxophon Mafia kennen und als Vorzeige-Neuerer innerhalb improvisierter Musik gelten dürfen – und integriert ins eigene Klangbild das von beiden eingebrachte Spontanelement sowie die wagemütigen, wahnsinnig flexiblen Kompositionstechniken.
Das ist Musik von höchster Qualität. Vital und bereichernd wie seit längerem nix. Es geht anspruchssatt, doch ebenso leicht und überaus abwechslungsreich zu. Unterhaltsam sogar. Die Dinge in idealer, doch unsteriler Balance. Alles steht und fällt selbstverständlich, wie beim Film mit dem Drehbuch, mit der Anlage der jeweiligen Stücke. Die meisten schrieb Tenor-Bariton-Saxophonist Schorn (der sogar das von Benedikt Eppelsheim aus München entwickelte Bb-Tubax äußerst wirkungsvoll einsetzt; sein Solo bei „Wo Kommt Denn Des Her“ ein mächtig eindrucksvolles Statement), zwei der Stücke kamen von Hanschel, der sich das Sopranino- und Mezzosopran-Saxophon vornimmt. Man operiert in quasi jedem Stück mit geschickten Verschiebungen im Tempo, vifen Dividierungstaktiken der Saxfamilienmitglieder und unerwarteten Zusammenführungen, klarer, aber nie statischer Lagenanordnung, mit bis ins Detail ausbalancierten, harmonisch vertrackten Momenten, aber auch kurzzeitig gradlinig, mit eingesprengten Folk-, Romantik-Passagen, ebenso euro-kammermusikalisch, die Nähe zu Neuer Musik und George Russel suchend, von barocker Üppigkeit bisweilen, dann gleich schlank, sogleich dann…Grenzaufhebung auf ganzer Linie jedenfalls.
Es sind die Soli, die den Improvisationsgedanken am deutlichsten tragen. Die ausgiebigeren von ihnen stammen wohl von Schorn und Hanschel. Schorns dreisätzige Suite „Three Pictures“ gerät packend-effektvoll, zu keinem Zeitpunkt aber effekthascherisch. Sanfte Linien des Sopran, wohldosierte Verunsicherung im Tutti, angerissene Nostalgien gegenüber vergangenen Jazzepochen darf man ausmachen, Mikrotonales… Geschick regiert hier, denn nichts, obwohl man aus vielen Quellen schöpft, wirklich nichts, wirkt strikt epigonal, die Anodnung der Querverweise ist immer nachvollziehbar. Fast jede Holzblasbewegung gerät lebhaft, aber auch auf den Punkt konzentriert, ausgefeilt, pulsierend, emphatisch. Aktion also schon, aber nie Aktionismus. Jeder Ton, meint man alsbald, birgt Überraschung und Gehalt.
Hanschel liefert das Titelstück, einen diffizil-vielschichtigen Hammer, ein Stück, das gleichermaßen von Spannungen durchdrungen ist und das dennoch als Ganzes kompakt dasteht. Nach semiklassischem, innerlichen Intro – dezent-oriental anmutende Harmonien; Grundrhythmus durchs Bariton, drüber Melodisches vom Alt, obenauf ein bemerkenswertes Schorn-Solo, sogleich danach kehrt die eine der gleich zwei berückenden Melodien wieder zurück. Hanschels zweites Stück heißt „Regeneration & Blend“, auch da dealt er mit feinen Melodiefetzen und doch mit jazznahem Duktus, der gegen Ende Stoff für Minimalistenanhänger bietet, bevor alles zurückgefahren wird, reine Lieblichkeit bzw. pathosferne Feierlichkeit einzieht. „Manic Maelzel“ ist mit Unisonopassagen, einer massiven Parallelität bestückt und auch ordentlich was an Struktur – innovativ, groovy, zugänglich, und mit Dissonanzen. Man könnte Spontaneität missen, tut es aber nicht. Die erwähnte Coon-Widmung ist ein würdiger Schlusspunkt, ein traumverlorenes Stückchen, doch mit bedrohlichen Momenten gespickt.
Erstaunlich wie die Sechs die wie aus dem Augenblick gewonnene, rege Komponente und die nachfolgende Intensität aufrecht und alles allzu Kopfgesteuerte abseits zu halten vermögen, obwohl die neun Stücke minuziös notiert sein dürften. Man könnte um der Pointe willen verführt sein, von dem Albumtitel ausgehend, in Bildern zu reden. Es ist eine ehrliche und weit offene Musik zwar, erfüllend, auch das stimmt, vor allem aber eins: gleichermassen Hirn wie Herzgegend treffend.
Levi Sorglos, JAZZPODIUM