Da quäkt nichts
Steffen Schorn mit seinem Septett bei den Jazzkonzerten im Historischen Museum
Der Kölner Multiinstrumentalist und Komponist Steffen Schorn konnte es sich leisten, eines der anspruchsvollsten Jazzensembles der Republik zu verlassen: die NDR Bigband. Zuviel hat er zu tun als Musikprofessor in Nürnberg, Leiter eigener Gruppen (Duo, Trio und Septett) und als begehrter Partiturenschreiber. Außerdem ist er nach wie vor ein gefragter Mitspieler für die Jazzorchester der Rundfunkanstalten und für die Kölner Saxophon Mafia. Mit der hr-Bigband hat Schorn die Reihe der Jazzkonzerte im Hof des Historischen Museums eröffnet – und jetzt war er schon wieder da. Der Veranstalter Dieter Buroch, Intendant des Künstlerhauses Mousonturm und demnächst für sein Kunstverständnis mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, hatte verstanden, daß es von Steffen Schorn nicht genug geben kann.
Nun also trat er mit seinem Septett auf: in einem phänomenalen Konzert, das sozusagen die ganze abendländische Kunstmusik mit den Energien des Jazz auflud. In den hochkomplizierten Kompositionen spuken mittelalterliche „Schluckauf“-Passagen, der sogenannte Hoquetus, und barocke Ostinati herum. Diffizil kontrapunktisch verfugt, rhythmisch komplex, harmonisch changierend zwischen Modalität und Atonalität, erschließt diese Musik eine Welt unberechenbarer Klangcharaktere, Strukturwandlungen und Stimmungswechsel in Fanfaren und Hymnen, großen Suiten, feenhaften „Tauspiegel“-Atmosphären und kochenden Rock-Grooves. Kopflastig ist sie schon, in dem Sinn, daß sie mit gewaltigem Ehrgeiz und einigen intellektuellen Anstrengungen ersonnen ist. Nur wirkt sie nicht so, weil dieser gebändigte Wahnsinn mit enormem Druck, rasender Spiellust und offenbar müheloser Präzision inszeniert wird.
Septette sind im Jazz oft eine problematische, etwas schwerfällige Besetzung, weder machtvoll groß noch durchhörbar klein. Nichts davon bei Schorn, schon weil nur zwei Bläser dabei sind mit einer weitgehend eingehaltenen Rollenverteilung: Schorn als der kraftvoll bolzende oder poetisch klangmalende Tieftöner mit Baritonsaxophon und Kontrabaßklarinette (dazu selten Altflöte, Tenorsaxophon und Melodika) und Roger Hanschel als teuflischer Virtuose auf dem Sopranino und Altsaxophon. Dazu kommen Vibraphon, Baß, Keyboards, Schlagzeug und der eher als bluesiger Langtöner kontrastierende Gitarrist Dirk Mündelein, von dem man gern etwas mehr gehört hätte.
Dabei fällt besonders auf, daß in den wundervoll wuseligen freien Kollektiven zwischen Schorn und Hanschel immer eine vollkommene Perfektion in der Artikulation erreicht wird. Da quäkt und quakt nichts, was man als Freund etwas weniger kontrollierter Free-Jazz-Ausbrüche bedauern mag. Aber das hochprofessionelle Bestehen auf sauberer Intonation darf man hier schon auch einmal als kleines Wunder bestaunen. Ein „Bossa um die time rum“, wie Schorn sein Werk ansagte, verheimlichte in seiner spielerischen Wucht den Wechsel komplizierter Fünfer-, Neuner- und Elfermetren. Ein von südafrikanischer Kwela-Musik angeregtes Stück ging dann auch einmal hinreißend tänzerisch zur Sache und brachte fast zum Mitklatschen. Bei diesem Höhepunkt des Frankfurter Konzertsommers erwies sich Steffen Schorn nicht nur musikalisch als Glückskind: Erst mit dem letzten Ton der Zugabe begann es zu regnen.
Ulrich Olshausen, F.A.Z.