Herrschaften, was haben wir auf dieses Album gewartet!
Im März 2017 ist es in Nürnberg, im Studio Franken des BR, entstanden.
Kurz zuvor hatte das Sextett beim WDR Jazzfest in Gütersloh brilliert, 2015 war es in einem Kellersaal in Köln, zu Ehren des von Saxophonisten aller Genres verehrten „Saxophondoktors“ Peter Neff (verstorben 2014), erstmals zusammengekommen.
Die Veröffentlichung von „Was weite Herzen füllt“ fällt nun zusammen mit dem fünfzigsten Geburtstag des Rascher Saxophon Quartetts, eine Art Kronos Quartet der klassischen Saxophonliteratur.
Über 350 Kompositionen wurden für dieses Ensemble geschrieben, von Berio über Glass und Kagel bis Xenakis.
„Da pacem domine“ von Arvo Pärt, arrangiert für Rascher, wird an jedem 11. März in Madrid aufgeführt, in Erinnerung an die Opfer des Terroranschlages am Bahnhof Atocha, 2004.
In diese Riege der Tonsetzer stoßen mit Steffen Schorn und Roger Hanschel nun zwei Mitglieder eines Karteileichen-Ensembles namens Kölner Saxophon Mafia.
Der Utopie, dass E- und Jazzmusiker auf gleicher Sitzhöhe agieren, rauben sie nicht zum ersten Mal den Charakter des Unerreichbaren.
1990 bereits schrieb Hanschel für die Querfeldeintour der Saxophon Mafia durch die Kölner Musikwelt („proudly presents…“) ein Stück für sich und das Auryn (Streich) Quartett, 2014 folgte das stupende gemeinsame Album „Niederschlagsmengen“.
Die „konzeptionelle Kontinuität“ Hanschels (darin dem Motto von Frank Zappa nicht unähnlich) zeigt sich darin, dass er manche seiner Kompositionen von Projekt zu Projekt mitführt; so werden zwei Stücke von „Niederschlagsmengen“ (das Titelstück sowie „Regeneration & Blend“) auf „Was weite Herzen füllt“ neu interpretiert.
So punktgenau die lange Wartezeit dafür nun im Rascher-Jubliläumsjahr aufgeht –
sie wird vom Tod eines Mitgliedes überschattet: der Baritonsaxophonist Kenneth David Coon ist am 14. Mai 2019 verstorben. Er wurde 52 Jahre alt und hat die mathematische Hälfte seines Lebens im Rascher Quartet verbracht (vielleicht war es auch die glücklichere).
Das Album schließt mit einem Requiem für ihn; aufgenommen zwei Monate nach seinem Tod, zwei Monate vor der Veröffentlichung – so schnell wiederum kann es gehen, wenn Jazzmusiker beteiligt sind. Genauer: wenn Jazzmusiker komponieren.
Denn das ist das Thema dieser Produktion.
Sie ist geprägt von einer klaren Arbeitsteilung, und zwar von dem Gedanken:
jeder macht das, was er am besten kann.
Die beiden Jazzmusiker improvisieren, d.h. sie spielen die Soli. Die „Klassiker“ interpretieren. Und sie tun dies in einer Weise, wie nur sie es vermögen. Denn die beiden Jazzmusiker haben in ihrer anderen – und ebenso wichtigen – Rolle als Komponisten schwieriges Material auf die Pulte gelegt.
Es ist eine große Freude, Zeuge zu werden, wie hier Jazzmusiker als Autoren in eine Reihe sich stellen mit großen Namen aus dem anderen camp (siehe oben).
Und sie können es; das booklet geizt nicht mit Auskünften über den strukturellen Charakter der Musik, über ihre melodischen, harmonischen und rhythmischen Grundlagen.
Werden dabei Grenzen überschritten?
Der Begriff dafür, Thirdstream, ist nun auch schon über 50 Jahre alt.
Die darin aufgehenden Hauptströme („Jazz“ und „Klassik“) haben tausenderlei Formen gezeugt, aus vielen Verwandtschaften, aber auch Kontrasten.
Das bedeutet aber auch: Thirdstream ist eine grobe Annäherung, der Begriff hat noch keine beschriebenden Eigenschaften. Der Thirdstream der Gründerjahre, etwa von Gunther Schuller, wusste noch nichts von der Stilvielfalt, die sich hier entfaltet.
Minimal Patterns gehören dazu und Roger Hanschel´s Faible für indische Musik, unterfüttert in Besuchen auf dem Subkontinent, ebenso. Es erklingen also wieder, wie schon bei Auryn, die jagenden Sechzehntelketten im Titelstück.
In Maßen haben Hanschel & Schorn die vier Klassiker auch zum Swingen gebracht, beispielweise im ersten Satz der dreisätzigen Suite „Three Pictures“.
Der Klangfarbenreichtum der Saxophone, vom Sopranino bis hinunter zum Subkontrabaßsaxophon, ist betörend; betörend weich, aber auch zupackend, betörend durch die ungeheure Präzision bei der Intonation, vor allem durch die Stimmverteilung, die die ganzen Lagen ausreizt.