Eine Zäsur mitten in den Vorbereitungen zum 50-jährigen Jubiläum des Raschèr Saxophone Quartet (RSQ), legendärer Klassik-Primus dieser Besetzung, war der Tod seines Baritonisten Kenneth Coon (1967-2019), dem „Was weite Herzen füllt“ in Memoriam gewidmet ist. Zugleich ist dieses Album insofern ein Novum, als zwei Saxofonisten, in Personalunion auch die Komponisten des Repertoires, das RSQ zum Sextett erweitern. Dadurch werden die Fakturen noch vielschichtiger und flexibler in der Stimmführung. Fülle also entwickelt sich im titelgebenden Werk von Roger Hanschel aus einem elegischen Tenor/Alto-Dialog zu polyphonen Staccato-Wirbeln über einem Flamenco-Motiv, das sich dann in virtuoser Episode auf einem Jazz Groove stützt. Umgekehrt löst sich bei „Three Pictures“ von Steffen Schorn aus einem impressionistisch-filigranen Klangnetzwerk eine Alto-Improvisation, die über Big-Band-Dichte zu einer freien Episode, dann gedämpften Zwielicht zu einer rigorosen Mäander-Stretta gelangt. So wird weiterhin das stilistische Terrain dieser Aufnahmen abgesteckt, wenn er in „Manic Maelzel“ Minimal-Patterns und virtuose Extempores überlagert, das Bassregister für polyrhythmischen Puls nutzt, kurzum: Jazz und klassische Moderne zusammenführt. Alpensounds sind für Roger Hanschel „Regenaration & Blend“, wiedererkennbar, und doch in Klappen-Gooves auf der einen, auf der anderen Seite durch repetitive Sopranmuster sowie einer Bariton-Passage verfremdet. Ondulationen und ironische Melodik halten Abstand zum Anfangsmotiv, sodass man sich fragt: „Wo kommt denn das her?“, nämlich ein Schlager-Schnipsel, den Steffen Schorn zum Jazzstil transformiert. Bleibt noch „Buddy´s Soul – For Ken“, ein Epitaph für den Kollegen, aber warm erinnernd, dass es eine Freude war, mit ihm Musik zu machen. Das RSQ ist sich treu geblieben und hat sich doch gewandelt: Kollektives Bewusstsein für bestes Spielniveau neigt sich hier auch zur Neugier, komplexe Strukturen mit der eher physischen Präsenz rhythmischer Vitalität eines weiten Herzens superb zu vereinbaren.“
Hans-Dieter Grünefeld, SONIC November 2019